Geschichten verbinden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann dazu führen, dass andere Lebenslinien besser verstanden werden. Geschichten können Brücken schlagen, können zusammenbringen, was auf den ersten Blick unvereinbar schien.
Eine Biographie erzählt die Geschichte eines Lebens, des eigenen oder eines Menschen, dessen Geschichte erzählt werden muss. Vielleicht weil sie ein Teil unserer eigenen Identität ist. Es gibt viele gute Gründe, Erinnerungen festzuhalten. In einem anderen Schreibkurs von mir sitzt seit 2017 Marianne. Sie ist heute 82 Jahre alt. In der ersten Stunde stellte sie sich vor und erzählte, dass sie die Geschichte ihres Mannes aufschreiben wolle. Sie hatte eine Seite mit Notizen. Seit neun Jahren war er tot. Als sie die Notizen vorlas, weinte sie. Doch sie ist den ganzen Weg gegangen, hat die Kapitel über ihren Mann geschrieben und seine Geschichte endete nicht mit seinem Tod – sie schrieb darüber hinaus noch ihre eigene Geschichte. Heute sind es 160 Seiten. Sie lässt sie für ihre Familie binden. Bei gemeinsamen Auftritten hat sie Kapitel daraus vorgelesen – es war stets wie eine Liebeserklärung an ihren Mann und oft hatten die anderen Kursteilnehmer sowie das Publikum bei den Lesungen und auch ich den Eindruck, dass wir ihren Mann persönlich kennen würden. Als wäre er durch ihre Geschichten zu einem Freund von uns geworden. Sie selbst hätte nie geglaubt, dass sie einmal so viel aufschreiben würde. Es war ein Weg, den sie gemeinsam mit uns gegangen ist.
Das Aufschreiben der Lebensgeschichte ist wie die Spiegelung des eigenen Blicks in die Vergangenheit, wie eine Suche nach Erklärungen für das, was uns jetzt ausmacht. Es ist ein besonderes Abenteuer, eines, das Mut erfordert, Mut und Ausdauer, und es ist auch immer eine Frage nach der Position, die man gerade im Leben innehat – wie blicke ich auf mich und mein Leben? Aus sicherer Distanz?
Das Leben schreibt die besten Geschichten, weil sie authentisch sind, wahrhaftig. Doch bevor eine Geschichte wirklich geschrieben ist, passiert eine ganze Menge – im Leben, im Kopf, beim Schreiben selbst. Denn wenn wir schreiben, müssen wir zuvor die Gedanken im Kopf sortieren, sie zu Wörtern und Sätzen formen. Sie waren Bilder im Kopf und werden nun zu einem lesbaren Text, der auch in anderen Köpfen Bilder entstehen lässt.
In Biographien lassen sich Linien erkennen, Parallelen aufzeigen – zwischen unterschiedlichen Kulturen und Zeiten und zwischen den Generationen.
Wer dabei über sich selbst schreibt, trägt sein Innerstes nach außen, teilt seine Erfahrungen mit anderen Menschen.
Das biographische Schreiben ist ein Vorgang der bewussten Erinnerung, der ständigen Ehrlichkeit, der Auseinandersetzung mit Erlebtem, es kann ein Akt der Aufarbeitung und auch der Selbstheilung sein und nicht zuletzt liegen in einer Biographie die Wurzeln der nächsten Generation.
In meinen Kursen „Biographisches Schreiben“ wollen wir gemeinsam einen Raum für jene Geschichten schaffen, die bislang unsichtbar waren. Sei es Ihre eigene Geschichte oder die Ihrer Familie oder eines Familienmitglieds. Wir werden uns annähern, Stück für Stück. Über das Erzählen werden wir den Weg zum Niederschreiben finden. Und manchmal lernt man erst dann, weshalb diese Geschichte erzählt werden musste …